Schwerpunkt Endoprothetik/Gelenkersatz

Endoprothetik im 21. Jahrhundert:
Was gibt es wirklich Neues? Was nützt von dem Neuen?

1. Vermeidung bis Vorbereitung der Operation des künstlichen Gelenkersatzes = Endoprothese

2. Zweitmeinung zu einer Operation

3. Das Implantat im „Allgemeinen“:
      a) Material
      b) Moderne OP Techniken: Von Robodoc über Navigation und kinematische
           Implantation zur  Tradition?
      c) Endoprothetik für Aktive:  Beruf-Sport-Alter
      d) Risiken der Operation im gesamten Behandlungsablauf

4. Die Hüftendoprothese heute

5. Das künstliche Kniegelenk für alle Gelenkabschnitte

 

Editorial:
Endoprothesen, s.g. künstliche Gelenke,  werden  in zunehmendem Maße als Ersatz für abgenutzte, durch Arthrose oder Unfälle zerstörte Gelenke implantiert.  Vornehmlich geschieht das im Bereich des Hüftgelenkes, gefolgt von Knie- und Schultergelenk. Aber auch im Bereich der anderen Gelenke: Finger, Handgelenk, Ellenbogen- und Sprunggelenk, gibt es Modelle, die sich aber noch nicht so lange bewährt haben. Ständig lesen wir in den Medien völlig gegensetzliche Informationen: Moderne Entwicklungen von Operationstechniken und Implantatmaterialien für die „Ewigkeit“. Ein paar Monate später: Katastrophenmeldungen von Komplikationen, Materialunverträglichkeiten – Allergie bis Krebs auslösend -, hohe Infektionsraten, Endoprothesenmetallbrüche –  die  im 21. Jahrhundert !!! -, Roboterhinken, etc. und wir lesen, dass die Kliniken an Komplikationen verdienen.  Was soll man als Patient glauben und wo steht der künstliche Gelenkersatz heute? Wenn die OECD für Deutschland 237 555 Implantationen von Hüftendoprothesen im Jahr 2008 angab, das deutsche statistische Bundesamt 209 487 (Sekundärzitat aus Z.Orthop Unfall 2013;151;S212), wurden somit  rund 30 000 Operationen „verloren“. Ein Fehler von rund 14 %,der so sicher nicht akzeptabel ist.
Wir wollen Ihnen hier einen Einblick geben und Ihnen helfen, den „Durchblick“ zu bewahren. Gerne stehen wir in Sondersprechstunden auch detailiert und lange zu Ihrer Verfügung.

Dr.med. D. Göbel + Jens Seydel

1. Vermeidung bis Vorbereitung der Operation des künstlichen Gelenkersatzes = Endoprothese

Zu einer ehrlichen Diskussion über neue Möglichkeiten des künstlichen Gelenkersatzes gehört u.E. auch der Hinweis, dass es moderne Techniken und Medikamente gibt, eine solche Operation zumindest noch einige Zeit zu vermeiden und somit einen möglichen später nötigen Austausch einer abgenutzten Endoprothese zu vermeiden. Immer sollten zuvor die klassischen Formen der Physiotherapie durchgeführt worden und ihr Erfolg beurteilt worden sein.
Trotz im Röntgenbild, oft  „katastrophalem Gelenk“,  lassen sich mit einer Kombination aus diesen nicht operativen Maßnahmen, durch den erfahrenen Arzt angewendet und gesteuert, oft sehr gute Ergebnisse erzielen.  In Frage kommen neben der genannten Physiotherapie, moderne Nahrungsergänzungsmittel  – oft diskutiert, vor Jahren bei schwangeren Frauen auch nicht für sinnvoll erachtet, heute sogar von der Krankenkasse erstattet! -, Lasertherapie, pulsierende Magnetfeldtherapie sowie Injektionsmaßnahmen mit Hyaluronsäure oder Plasmatherapieverfahren (=PRP). All diese Maßnahmen haben tatsächlich Ihre Berechtigung. Es verwundert, wie heftig sie immer wieder kritisiert werden, obwohl sie seit Jahren bei allen unseren „teuren Haustieren“, insbesondere Pferden, Hunden und Katzen  angewendet werden.
Als invasive Maßnahme (=Spritzen) , möchten wir ein paar Worte mehr zu den Hyaluronsäureinjektionen in das geschädigte Gelenk verlieren:
Hyaluronsäure ist ein in der Gelenkflüssigkeit, im Bindegewebe und im Knorpel vorhandener Baustein. Sie wird seit Jahren in der Tiermedizin bereits erfolgreich zur Arthrosebehandlung eingesetzt. Bezogen auf den Menschen wurden Ernst zu nehmende wissenschaftliche Arbeiten bereits im Jahr 2000 durch MW Payne und Mitarbeiter publiziert und immer wieder durch andere Autoren auch für rheumatische Knieveränderungen bestätigt (Rheumatology News Otober 2011). Professor Roy Altman von der University of California, Los Angeles kommentierte im gleichen Journal 2011 eine Studie, welche zeigt, dass sogar primär nicht ansprechende (= Non responder) von einer erneuten Injektionstherapie profitieren, d.h. zu respondern werden. Bereits  2006 wurden  z.B. auch „long-Term Effects“ durch die Autoren H Bagga, D Burghardt, P Sambrook und L March im Journal of Rheumatology für das Kniegelenk publiziert.   Inzwischen  ist die intraartikuläre Injektion von Hyaluronsäure nicht nur für das Kniegelenk ein „Standard“, sondern auch für andere Gelenke: So wurde diese Injektionsbehandlung in die AWMF S-3 Leitlinie 33/001 „Koxarthrose“ (=Hüftgelenkverschleiß) des DGOOC und BVO aufgenommen. Die Injektionstherapie stellt somit ein etabliertes Verfahren vor der Operation einer Endoprothese dar, welches inzwischen  sogar zur Leitlinie erhoben wurde. 

Also: Vor der Operation, andere moderne Maßnahmen ausschöpfen!
 

2. Zweitmeinung zu einer Operation

Eine  Zweit- oder sogar Drittmeinung zu einer relativ großen Operation einzuholen erscheint vielfach sinnvoll und sollte man sich als betroffener – selbst wenn die eigene Krankenkasse dies nicht in der gewünschten Form bezahlt – wert sein. Zum einen kann jeder Arzt „irren“, zum anderen, kennt der erste Arzt vielleicht nicht alle Behandlungsalternativen, weil er diese in seiner Ausbildung nicht erfahren/gelernt hat oder er hat diese mangels Verfügbarkeit, nie hat anwenden können/dürfen.
Auch im gesetzlichen Kassenbereich – der eine ausreichende und wirtschaftliche Versorgung garantiert – steht Ihnen eine sogar kostenlose Zweitmeinung immer zur Verfügung. Hierfür gibt Ihnen Ihr Hausarzt oder sogar Ihr potentieller Operateur, der Ihnen Ihre „Erstmeinung“ erläutert hat, sicher gerne eine Überweisung.  Hier werden Sie sicher kostenlos nochmals kurz untersucht, die Vorröntgenbilder angeschaut, evtl. Zusatzaufnahmen von benachbarten Gelenken durchgeführt und Ihnen gesagt: „Ja, die Operation ist nötig“, oder „Nein, unnötig“, oder: „Man könnte zuvor noch…..“. Erwarten können Sie allerdings hier sicher nicht ein ausführliches Gespräch über Materialien, verschiedenste Implantatmodelle, etc..  Dies  muss als Sonderleistung gelten und ein solches Gespräch wird sicher nur der Privatarzt und Spezialist in dieser Ausführlichkeit mit Ihnen führen. Kosten hierfür:  Rechnen sie für die ersten 60 min ca. 130 €, für jede weiteren angefangenen 30 min ca. 40 €.  Internetangaben von  bis 600 € sind u.E. nicht integer. 

Merke: Vor der Operation evtl. 2.-Meinung einholen; je nach Bedürfnis unterschiedlich ausführlich.

3. Das Implantat im „Allgemeinen“:
 a) Material
Für künstliche Gelenke stehen heute verschiedene Materialkombinationen zur Verfügung, welche jeweils unterschiedlich kombiniert werden können, so das die eigentlichen Gelenkflächen/Gleitflächen der Gelenke unterschiedlich bewertet werden müssen. Alle Kombinationen weisen unterschiedliche Vor- bzw. Nachteile auf.  Da Hüftendoprothesen am längsten als Standardverfahren implantiert werden, liegen hier die längsten Erfahrungswerte vor und es gibt zusätzlich die meisten verschiedenen Gelenkpaarungen.  Ziel aller Materialkombinationen ist es, die Abnutzungsrate, den Verschleiß – bei PKW Reifen würden man vielleicht sagen, den Profilabrieb – zu minimieren bei gleichzeitig 100% Körperverträglichkeit des Materials und dessen Verschleißpartikel.
Folgenden Materialkombinationen werden verwendet:
i) Kunststoff (Polyethylen) – Metall
ii) Metall – Metall
iii)  Kunststoff- Keramik

iiii) Keramik – Keramik

i)  und ii)
Die ersten „routinemäßig“ implantierten Kombinationen waren sicherlich die Paarungen Kunststoff (=Polyethylen) mit Metall sowie Metall auf Metall, so das uns diesbzgl. Verschleißdaten seit mehr als 30 Jahren bekannt sind.
Professor Willert und seinem Forschungsteam sind die Erkenntnisse zu verdanken, dass letztlich die Verschleißpartikel des künstlichen Gelenkes zu Knochenabbauprozessen um das künstliche Gelenk herum führen, weshalb die Endoprothese dann lockert.  Diese Abbauprozesse sind abhängig von der Größe und dem Material der Abnutzungspartikel.
Die Kombination Polyethylen auf Metall wies insbesondere bzgl. früherer Kunststoffe, relativ hohe Abnutzungsraten an für den Körper allerdings weniger aggressiven Partikeln auf, während für die Kombination Metall-Metall weniger Teilchen, dafür aber deutlich aggressivere – bis hin zur Krebsgefahr – Partikel anfallen. Heutige Kunststoffe sind durch neue Sterilisations- und Vernetzungsverfahren wiederstandfähiger als früher, wobei auch frühere Endoprothesen Haltbarkeiten von teilweise über 30 Jahren aufwiesen.
Wir sind Stolz in den 90-ziger Jahren zur Forschungsgruppe Willert gehört zu haben, und vielleicht auch deshalb die falsche Euphorie und Mode der Metall-Metall Kombination nicht mit gemacht zu haben:
H.G. Willert, G.H. Buchhorn, D. Göbel, G. Köster, S. Schaffner,
R. Schenk, M. Semlitsch: Wear behaviour and histopathology of classic metal on metal
hip endoprosthesis. Clinical Orthopaedics and Related Research 1996, 329 S: 160-186.
H.G. Willert, D. Göbel, G.H. Buchhorn: Die Verankerung der Endoprothese: Knochenzement ja oder nein ?   In: Hüftendoprothetik, S. 23-31; J. Jerosch, H. Effenberger, S. Fuchs (Hrsg.), G. Thieme Verlag,
 H.G. Willert, D. Göbel, G.H. Buchhorn: Zementierte oder nichtzementierte Endoprothesenverankerung.        In: Der totale Hüftgelenkersatz mit zementierten oder zementfreie Prothesen: Erfahrungen und Ergebnisse, S. 9-18;G. Mayer, H.W. Neumann (Hrsg.), Med.-Literarische Verl.-Ges.,Uelzen 1997

Vorteil dieser Materialkombinationen ist sicherlich die nicht vorhandene Bruchgefahr anderer Kombinationen (s.u.). Somit stellen sie für den Sturz gefährdeten Patienten – neurologische Erkrankungen wie u.a. M. Parkinson, Berufe mit erhöhter Unfallgefahr, wie Landwirte, aber auch Sportler wie alpiner Skisport, Mountainbike, etc. – ein sinnvolle Überlegung auch in jüngerem Lebensalter dar: Hier meinen wir natürlich die Kombination Polyethylen mit Metall (nicht Metall-Metall). 

iii) und iiii)
Diese Kombinationen kommen praktisch nur in künstlichen Hüftgelenken vor, da in Knieendoprothesen, Sprung- oder Schultergelenken eine zu hohe Bruch- und Splittergefahr bestände. Aber auch in Hüftendoprothesen kann es bei Ausrenkungen(=Luxationen) oder Stürzen zu Keramikbrüchen von Kopf oder Pfanneneinsatz kommen. Hier ist vor allem die Kombination Keramik-Keramik gefährdet.  Vorteil der Materialien ist, dass die Kombination Keramik-Polyethylen eine nur extrem geringe, Keramik-Keramik praktisch keine Abnutzung ausweist. Allerdings sollten o.g. Risiken bedacht werden sowie dass Revisionsoperationen mit Kopf- und/oder Pfanneneinsatzwechsel sehr schwierig sind bzw. nicht garantiert werden kann, dass alle Splitter entfernt werden. (Seien wir ehrlich: Fällt uns zu Hause eine Glasfalsche in der Küche auf den Boden, finden wir trotz aller Bemühungen und Sorgfalt oft am nächsten Tag noch Restsplitter. Dies in der übersichtlichen Küche. Wie viel schwerer ist die „im menschlichen Gewebe“.)

b) Moderne OP Techniken: Von Robodoc über Navigation und kinematische Implantation zur  Tradition?

Operationsroboter wie „Robodoc“ oder „Caspar“ waren Ende der 90-ziger Jahre in aller Munde und galten als das „Non-plus-ultra“ der modernen Chirurgie. Genauigkeit bis auf den Zehntel-Millimeter im  Knochenlager der Endoprothesen. Erfahrene Operateure waren skeptisch und haben nach wenigen Operationen, manchmal schon nach der ersten Operation, mit dieser Technik erkannt, dass es eine Genauigkeit unter falschem Blickwinkel war. Wurde doch nur der Knochen beachtet, und die Muskulatur und Bänder nicht nur vergessen, sondern auf Grund der nötigen Zugangswege der Roboterarme zum Knochen oft geschädigt.  So kam es, dass die Patienten mit Roboterhüftendoprothesen oft hinkten und sich auf Grund des Muskelschadens nie mehr erholten, weshalb diese Konzept inzwischen verlassen wurde.  Zusätzlich war in der Regel vor der Operation eine weitere kleine Operation als Voreingriff nötig, die wie jede Operation natürlich ein Risiko darstellt.
Moderne Navigationssysteme, welche direkt bei der Implantationsoperation und ohne Strahlenbelastung angewendet werden, wurden und werden vornehmlich im Bereich der Knieendoprothetik angewandt.  Ziel der Systeme ist es eine ideale Beinachse bzw. mechanische Belastungsachse herzustellen. Trotzdem haben diese Implantationshilfen nicht zu  der erwarteten Senkung  der Revisionsraten geführt oder die Versagerquote der Implantate vermindert.  Selbst bei gleich guten klinischen Ergebnissen und Haltbarkeitsdauern der Endoprothesen müsste der Zusatzaufwand – Operationszeit, Zusatzhautschnitte etc. – überdacht werden. Aktuelle wissenschaftliche Arbeiten kommen von diesem Konzept daher wieder weg (Howell SM et al.: Does kinematically aligned Total Knee Arthroplasty restore function without failure regardless of alignement category? Clin Orthop Relat Res 2013; 471: 1000-1007).

Individuelle Schablonen:
„Patientenindividuelles Instrumentarium“ oder „individuelle Sägeschablonen“ wird eine neue Idee der Industrie genannt, die aktuell immer noch für Furore sorgt. Nach Computertomographie Daten (=Strahlenbelastung) oder Kernspintomographiedaten werden für die Zurichtung der Knochen für die spätere Endoprothese Schablonen von der Knochenoberfläche hergestellt. Diese sollen dann während der Operation passgenau auf die Knochenoberfläche aufgelegt werden und andere Zurichtungssysteme ersetzen.  Insgesamt wird behauptet dies würde 5 bis 10 min Operationszeit sparen.  Wir können dies nicht nachvollziehen!!! Grund hierfür ist, dass seit Jahren in der Unfallchirurgie versucht wird die „Weichteile“, d.h. die am Knochen angewachsene Muskulatur und Bänder zu schonen, die Durchblutung zu erhalten und hierdurch eine unkomplizierte schnelle Heilung zu gewährleisten. Nun soll man bei einer Wahloperation dies ändern, somit die Weichteile komplett vom Knochen entfernen, andernfalls würden die Schablonen ja ungenau aufgelegt und es käme zu Fehlschnitten und falschen Endoprothesenpositionen.   Selbst wenn eher unerfahrene Operateure den genannten Zeitgewinn evtl. nutzen wollen – im Bereich der Hüftgelenke benötigen die erfahrensten Operateure unter 40 min, wenig erfahrene über 2 Stunden = Zenk et al. OUP 2012;1: 198-201 – erscheint das genannte Risiko der Ungenauigkeit oder der schlechten Heilung keine sinnvoll Perspektive!

 c) Endoprothetik für Aktive:  Beruf-Sport-Alter
Künstliche Gelenke können in Modell und Material (s.o.) heute zumindest orientierend an die Aktivität des einzelnen Patienten angepasst werden.  Dies bezieht sich sowohl auf die berufliche, als auch auf Freizeitaktivitäten oder Tätigkeiten des Rentners – von Urlaub bis Hilfen z.B. in der Landwirtschaft der Kinder.  Hierbei sind auch die typischen Bewegungen dieser Aktivitäten zu berücksichtigen. Bei Laufsport z.B. die „alleinige“ Vorwärtsführung des Beines, beim Schwimmen die Drehbewegungen,  bei Nordic walking die Armbelastung.  Dies kann unterschiedliche Verankerungstechniken der Endprothesen, aber auch unterschiedliche Zugangswege zu den zu ersetzenden Gelenken zwischen den Muskellücken hindurch sinnvoll machen. Klassisches Beispiel wären hier Hüftendoprothesen: Eine Ausrenkgefahr besteht bei einem hinteren Zugang eher bei einer forcierten Einwärtsdrehung der Hüfte – im täglichen Leben und beim Sport extrem selten – bei einem klassischen seitlichen Zugang eher bei einer forcierten Außendrehung – häufig beim Fußball, Skating, Schuhe anziehen, auf Toilette sitzen. Dafür ist der hintere Zugang aus operationstechnischen Gründen für den Operateur meist Anspruchs voller für die Positionierung der Endoprothese.  Sie sollten daher auch diese Fragen mit Ihrem Operateur – soweit Sie diesen kennen – besprechen.

 d) Risiken der Operation im gesamten Behandlungsablauf
Bei allen Gelenkersatzoperationen bestehen natürlich die klassischen Operationsrisiken von Thrombose, über Wundheilungsstörung bis Infektion. Zusätzlich sollte man  der Muskulatur ein besonderes Augenmerk  widmen. Es erscheint uns wichtig darauf hinzuweisen, dass bei Verschleiß bedingten, durch Arthrose verursachten  Operationen,  dies ein Jahre langer Prozess der Abnutzung ist. D.h. die Muskulatur wird immer wieder geschont/nicht benutzt und schwächt sich ab. Es kommt zur Fehlstellung und Veränderungen der Bandansätze. Künstliche Gelenke ersetzen ehemaligen Knorpel und teilweise Knochenanteile; nicht die Muskulatur und auch nicht dem Patienten sein Gelenkgefühl. Dies muss der Patient selbst wieder lernen, Muskulatur aktivieren. Ein Muskelaufbau ist im Alter schwierig und dauert lange! Man kann es „grob so formulieren“: Rund 50 % des Erfolges einer Operation liegt beim Operateur, 50% beim Patienten. Dies  ist anders als z.B.  bei Laseroperationen am Auge: Hinlegen, Laser und Alles ist nach wenigen Tagen ohne Zutun des Patienten gut. Beim Gelenkersatz muss der Patient aktiv werden! Physiotherapie, Reha-Klinik etc. sollen Ihnen helfen. Funktioniert hier aber etwas nicht, kann dies Ihr Chirurg nicht beeinflussen! Er kann die nötigen Rezepte ausstellen und die Behandlung steuern, aber wenn in der Rehaklinik Personal fehlt oder aus anderen Gründen eine nicht verordnete Behandlung durchgeführt wird, kann das Ergebnis der Operation gefährdet werden. Nicht beeinflussbar sind aber auch z.B. neurologische Erkrankungen wie der Morbus Parkinson, welcher bekanntlich mit einer deutlichen Gangstörung und ruckartigen Bewegungen einhergeht. Hier wird trotz bester Operation und Nachbehandlung  immer nur ein eingeschränkter Erfolg, insbesondere bei künstlichen Kniegelenken erreicht.  (Trotzdem kann sich dieser „eingeschränkte“ Erfolg für den Patienten lohnen.)
Da die Muskulatur so wichtig ist und der Mensch sich in seinem weiteren Leben natürlich auch im Alter verändert, versucht der erfahrene Operateur diesen Prozess mit zu bedenken. Orthopäden haben dies in Ihrer Ausbildung besonders gelernt. Nicht umsonst führen sie z.B. die Hüftvorsorge der Säuglinge durch und steuern eine Behandlung möglichst so, dass die Hüfte des Babys auch mit 80 Lebensjahren noch funktioniert.

Noch ein Wort zu Infektionen, weil diese eine besonders schwere Komplikation der Endoprothetik darstellen. Man geht von ca. 1% Infektionsrate in diesem operativen Bereich aus.  Diese Zahlen werden in Zukunft ansteigen. Wie jeder von uns in der Tageszeitung oft ausführlich nachlesen kann – u.a. Südkurier 12.1.2013 – werden pro Kilogramm erzeugtem Fleisch in Deutschland ca. 170 mg Antibiotika eingesetzt. Diese gelangen in den Nahrungskreislauf, d.h. auch in den Menschen, so das bei nötigen Operationen die üblichen Prophylaxen nicht mehr funktionieren. Auch im Falle der Infektion selbst, stehen oft auf Grund von Resistenzen keine Medikamente mehr zur Verfügung. Dies kann weder Hausarzt noch Operateur oder Krankenhaus beeinflussen.
Zusätzliche Risikofaktoren für eine Misserfolg sind eine rheumatische Erkrankung (u.a. internationale  Publikation Ann Rheum 2012;64: 3839-3849) , Depressionen, Zuckererkrankung, Bluthochdruck  und Herzinsuffizienz (u.a. Ann Rheum Dis 2012;doi:10.11.1136).  Das Internetlexikon Wikipedia führt für  alle Betroffenen sichtbar als besondere Risikofaktoren auf: a) gleichzeitige Operation zweier Gelenke, b) schwere Allgemeinerkrankung sowie c) weibliches Geschlecht und d) BMI über 30 an!  Letzterer ist schnell erreicht: Bei z.B. 170 cm Körpergröße wären dies rund 87 kg Gewicht!
Letztlich kann man somit als Patient gut mithelfen, eine Gelenkersatzoperation zum Erfolg zu führen bzw. deren Risiko zu minimieren.

4. Die Hüftendoprothese heute

Die Benchmark der Hüftendoprothetik, an der sich alle neuen Gelenke messen müssen, sind weiterhin zementierte Gelenke mit teilweise über 30 Jahren Funktionsdauer. Operativ weisen moderne, zementfreie Implantate auf Grund kürzer Operationszeiten, vorallem aber mit einigen Pluspunkten für die Kreislaufsituation  des Patienten während der Operation,  Vorteile auf. Inzwischen haben wir auch für einige zementfreie Modelle Überlebensdaten von über 25 Jahren, so dass diese heute sicher empfohlen werden können.  Das Wiederaufleben der Hüftkappen – u.a. McMinn Hüftkappe – muss selbst von begeisterten Vertretern dieser Modelle inzwischen eher kritisch betrachtet werden, haben diese Modelle doch keine Haltbarkeitsvorteile gezeigt, teilweise zu hohen Metallfremdkörperreaktionen geführt und sind in der Wechseloperation als Patienten unfreundlich anzusehen, da gerade im besonders sensiblen Beckenreich Knochendefekte auftreten können.
Minimal invasive Zugängen unterschiedlicher Art werden aktuell weiterhin von verschiedenen Kliniken angeboten und „beworben“. Daten lassen darauf schließen, dass ca. 3 Monate nach der Operation keine Vorteile gegenüber einem Standardzugang vorhanden sind. Wir selbst hinterfragen solche Techniken, da  wir in der Nachbehandlung so operierter Patienten immer wieder Probleme beobachten,  die evtl. auf die geringere Übersicht zurückzuführen sind.
Entgegen anderer Entwicklungen (s.o. „Kappen“) erscheinen  Kurzschäfte – welche wir bereits seit über 10 Jahren in verschiedenen Modellen verwenden – heute als sinnvolle und erfolgreiche technische Neuerung der Hüftendoprothetik. Der geringe Fremdkörper lässt bei Lockerung, Abnutzung oder  auch anderen Komplikationen relativ Problem los den Wechsel auf ein Standardmodell zu, so dass  der Patient seinen Operateur hiernach fragen sollte. Auf Grund der geringeren Verankerungsfläche erscheint die Operation schwieriger und sollte nur durch erfahrene Operateure durchgeführt werden. 

5. Das künstliche Kniegelenk für alle Gelenkabschnitte
Künstliche Kniegelenke existieren als Teil- oder Totalendoprothese, in letzterer Form auch als s.g. achsgeführte Gelenke. Der häufigste Teilgelenkersatz ist die unicondyläre Endprothese an der Gelenkinnenseite. Diese wird bei einer Varus- (=O-Bein) Arthrose eingesetzt. Eine sichere Bandstabilität, auch beider Kreuzbänder, ist hierfür Voraussetzung. Es gibt inzwischen Modelle mit und ohne künstlichen Meniskus, die jeweils Vor- und Nachteile besitzen. Für  „Meniskusmodelle“  erhofft sich der Operateur eine geringere Abnutzung der Endoprothese, muss aber in der Regel die Beinachse komplett „Normalisieren“, auch wenn der Patient sein O-Bein evtl. schon seit 15 Jahren gewohnt ist. Tut der Operateur dies nicht, kann es zur Luxation des künstlichen Meniskus  kommen.  Klassische Modelle mit fixiertem Kunststoffeinsatz lassen etwas mehr Kunststoffabnutzung erwarten,  beinhalten aber nicht die Gefahr eine Meniskusluxation und können daher auch „kinematisch“ implantiert werden, d.h. es wird die gewohnte Beinachse belassen.

Schon seit über 20 Jahren existierende, aktuell aber etwas „geförderte“ Entwicklungen des Ersatzes des Kniescheibengleitlagers favorisieren wir nicht, da dies nach unserer Erfahrung oft zu einer sehr unangenehmen Erhöhung des Druckes hinter der Kniescheibe führt, welche nicht nur Schmerzen verursacht, sondern auch die Beugefähigkeit einschränkt.

Die Totalendoprothese des Kniegelenkes stellt sicherlich am Knie das häufigste Implantat dar. Moderne Sondermodelle lassen enorme Beugefähigkeiten zu – insofern der Patient und der Physiotherapeut eine intensive, korrekte Nachbehandlung durchführen können (siehe Abschnitt Risiken!).  Diese Implantate werden manchmal auch als „Flexions-TEPs“ bezeichnet und sind anspruchsvoller in der Operationstechnik und gering Zeit aufwendiger.  Für manche Patienten machen diese Modelle allerdings auf Grund der Anatomie keinen Sinn, so dass Sie dies individuell mit Ihrem Operateur besprechen sollten, da während der Operation solcher Modelle gerade in der Kniekehle eine besondere „Gefahr lauert“ , die man dann natürlich nicht einzugehen bräuchte.
Ein Ersatz der Kniescheibenrückfläche ist bei den heutigen Implantaten und individueller Positionierung des Oberschenkelteiles der Endoprothese unter Berücksichtigung Ihrer Muskulatur und deren Entwicklung in den nächsten Jahren u.E. nicht nötig.  Auf diesen Fremdkörper, der in der Regel die geringste Verankerungsfläche besitzt und somit eine Schwachstelle darstellt, verzichten die meisten Operateure in Deutschland zu Recht.

Achsgeführte Totalendoprothesen werden in der Regel als Erstimplantat nur bei extremsten Beinfehlstellungen mit nicht rekonstruierbaren Bänderschwächen eingesetzt. Ansonsten dienen sie dem Austausch von abgenutzten, gelockerten Knieendoprothesen. Sie sind als  eine Art Baukastensystem konstruiert, mit welchem fast alle Knochen – oder Banddefekte ersetzbar sind (=> Nicht die Muskulatur!), stellen aber an das Operationsteam extreme Ansprüche!  Sie müssen modular, der individuellen Situation des Knochenlagers und der Bänder angepasst werden, mit unterschiedlichen Kräften untereinander verschraubt werden etc.. In diesem Falle sind technische Möglichkeiten der Ingenieurskunst entstanden, welche wir in den 80 Jahren so nicht erwartet hätten.  (Trotzdem sind auch hier der Technik im Vergleich zur Natur, gerade bei Gelenkinfektionen Grenzen gesetzt!).  

  

Zusammenfassung  Endoprothetik im 21. Jahrhundert:

—        Wir haben viele gute Modelle und Implantatanteile

—        Wir haben viele Möglichkeiten der OP Vermeidung (mehr als früher!!)

—      Ihr Operateur sollte Implantate kennen, Biomaterialien kennen und die Möglichkeit haben
         individuell zu entscheiden