Spartathlon 2010

Spartathlon 2010: Ein Laufbericht

„Spartathlon“, ein Begriff bei dem die meisten denken, sie hätten sich verhört, weil sie den Begriff „Marathon“  verinnerlicht haben. Die anderen, die Langstreckenläufer, horchen auf und fragen nach: „Meinst Du Spartathlon?“ Zumindest erging es mir so die letzten 4 Jahre.

Der Hintergrund in Kürze: 490 vor Christi wollen die Perser in Athen landen. Die Athener, auf Grund der Größe der persischen Armee, keineswegs Sieges sicher, schicken den Laufkurier Pheidippidis nach Sparta um Hilfe zu holen. Nach Herodots Bericht – wohl ca. 50 Jahre danach aufgeschrieben – kam Pheidippidis am Abend des darauf folgenden Tages, demnach nach 36 Stunden in Sparta an. (Da die Spartaner auf Grund ihrer Religion nicht sofort los ziehen konnten, wurde die Schlacht bei Marathon bereits ohne sie geschlagen und führte zu dem bekannten Ergebnis und dem ebenso bekannten heroischen Botenlauf von 40 km nach Athen mit versterben des Boten).
John Folden ein Engländer, Offizier der englischen Armee und Liebhaber von Historie versuchte den Lauf von Athen auch unter Berücksichtigung der damaligen „Straßen“ und Verbündeten der Athener nachzuvollziehen: So führt der Weg über die heilige Straße nach Elefsina und Megara nach Isthmia, von dort zum antiken Korinth. Im Pellepones geht es weiter nach Nemea, ebenfalls eine der wichtigsten Städte im antiken Griechenland, über den Gebirgspass nach Sangas, Nestani und Tegea bis man schließlich nach rund 250 km in Sparta ankommt. John Folden führte den „Testlauf“ 1982 mit 2 Freunden durch: Sie schafften es in 36 Stunden. Die Geschichte von Herodot war nachvollzogen.

Spartathlon: 246 km, ca. 3000 Höhenmeter, fast immer 30° C ohne Schatten, im Gebirge Gewitter und bis runter auf 5°C möglich, plus starker Wind und nur 36 Stunden Zeit => Das sind die Daten dieses längsten Non-Stop Ultramarathons der Welt. Als kleines Extra: Betreuung erst ab Kilometer 80 erlaubt und auch nur in Form von Kontakten zum Betreuer alle 15 km nicht in Form einer Begleitung, d.h. er darf dem Läufer Dinge anreichen (Jacke, etc.), aber nicht mehr.  Hinzu kommen konsequente Zeitlimits, die zwar den „körperlichen Verfall“ mit berücksichtigen, aber die Mann/Frau unter vorgenannten Bedingungen erst einmal einhalten muss. Nicht umsonst sind 2010 zwar ca. 440 Startnummern vergeben – Ausnahme wegen dem Jubiläumsjahr 2500 Jahre nach dem Erstlauf von Pheidippides – aber nur 328 Läufer gehen an den Start.  Man muß sich wirklich am Morgen des Tages körperlich und geistig top fit fühlen, sonst hat man wenig Chancen.

Ich selbst stehe Freitagmorgen wieder um ca. 6:30 Uhr unter der Akropolis in der Startvorbereitung. Wieder?  Zum 4mal: 2007 mein erster Lauf von mehr als 100 km, trotz sicherer Qualifikation für den Spartathlon in einer 100 km Zeit von 8:42h lerne ich 2007, dass ich keine Ahnung hatte, was mich erwartet. Bei 164 km mit ca. 3 h Restzeit auf die zeitliche Disqualifikation gehe ich raus, weil ich mir schlichtweg nicht vorstellen kann mit diesem bereits geschundenen Körper noch 80 km zu laufen. 2008: Ich überziehe, weil ich bei Kilometer 100 kurz auf Platz 7 liege und von einen Endergebnis unter den ersten 10 träume. Bei Kilometer 227 gehen mit 8 Stunden Restzeit für diese lächerlichen 19 km die Lichter aus. 2009: Körperlich top fit, macht mir das ganze berufliche Jahr mental (Gesundheitsreformen, im Mittel mit häuslicher Büroarbeit und Fortbildungen ca. 70 Stunden Woche, kein Sommerurlaub, etc.) zu schaffen, so dass ich ohne jede „Schmerzen“ bei Kilometer 168 plus 6 Kilometer verlaufen – was mir auch zu schaffen macht – einfach sitzen bleibe.
Warum überhaupt nochmal antreten? Die meisten geben mir – wie ich im Nachhinein feststellte – kaum eine Chance. Wer mehrfach aussteigt glaubt nicht mehr an sich! Aber: 1) Spartathlon ist für viele und auch für mich ein Mythos, gelebte Geschichte, kein Kunstprodukt!, 2) die Griechen vermitteln einem genau diesen Mythos, so dass einem beim Zieleinlauf, aber teilweise schon beim Lauf in die Kontrollstationen eine Gänsehaut über den Rücken läuft (erst Recht dann bei der Abschlussfeier in Sparta und Montags nochmals in Athen). 3) Ich weiß, dass ich es körperlich kann, 4) nur wer öfter aufsteht wie er hinfällt, hat Erfolg. In diesem Sinne möchte ich auch Vorbild für meine Kinder sein.
7:00 Uhr Start unter der Akropolis. Große historische Kulisse: Wir laufen durch den Smog und den Berufsverkehr von Athen, geschützt von der Polizei. Hier wird endgültig klar, wie wichtig der Lauf für die Griechen ist. Ein solches Polizeiaufgebot für rund 300 Läufer. Bei Kilometer 15, kurz vor dem antiken Tempel der Aphrodite, gehen wir auf die Autobahn. Das ist kein Witz. Dieser Standstreifen wird uns bis ca. km 25 tragen. Gut das die LKW-Fahrer streiken. Das macht es dieses Jahr leichter. Trotzdem stelle ich fest, man muss die Ein- und Ausfahrten in Griechenland überqueren wieder der Sagen umwobene Test von Werner Wicker in Peking: Nicht rechts oder links schauen. Blick geradeaus und los. Hupe überhören!  Kilometer 25 führt auf die Küstenstrasse und zeigt uns das Meer, aber ab jetzt auch zunehmend die Sonne. Der „schützende“ Athensmog ist weg.  Noch vor Megara (ca. 1. Marathondistanz) überholt mich Stefan (unser „il Presidente“ der DUV) und sagt mir ich würde „cool“ aussehen. Ich genieße auch den Lauf und trotz allem die 30°C (Tankstellenzeige bei ca. 42km) und die hohe Luftfeuchtigkeit. Ich lasse Stefan laufen, er kann die 100 km in 7:15 laufen, ich nicht! Bis hierhin ist auch mein Puls noch mit bis 138/min sehr gut. So geht es immer weiter durch kleine Küstenorte, aber auch vorbei an Müll und Ölraffinerien, die nun wirklich vom Geruch meinen Magen belasten. Bei Kilometer 80 bin ich 8 Stunden unterwegs und mein Puls geht bergauf bis 170/min. Zuviel. Schnelle Rechnung: Bei diesen Temperaturen 8 Liter Schweiß, 4 l getrunken (= 0,5 pro Stunde). Das Problem muss ich schnell lösen, da ich gerade das süße „Zeug“ nicht mehr trinken mag. Also: Beim nächsten Kontrollpunkt, der an einer Tankstelle liegt, eine Dose Bier kaufen und halb (= 0,15 l) trinken. „Geht nicht in den Kopf“, der Magen verträgt es. Also: 5km später essen und nochmal 0,15 l Bier.  Magen beruhigt, Puls ist nun bei 140 bis 150. Im Vergleich zu 2008 habe ich mir bis Korinth, dem 1. Drittel der Strecke, 45 min mehr Zeitgelassen, aber schon 1:30h Polster auf den Besenwagen.  Weiter geht´s: Ca. bei Kilometer 95 treffe ich Andre. Wir kennen uns nicht, außer das wir zum deutschen Team gehören. Er hat sich an einzelne Kontrollstationen Bier hinschicken lassen. 0,5 l Dosen. Ich bitte ihn um einen Schluck, zum Geschmacksausgleich bitter gegen süße „Isopampe“ „Geht okay“. Wir laufen zusammen weiter und zumindest ich sehe, dass wir harmonieren. Insgesamt laufe ich langsamer als die Vorjahre, aber viel entspannter und ohne Stress.  In Nemea haben wir mit 124 km die „Halbdistanz“ in ca. 13 Stunden.  2008 war ich mit viel Stress hier nur 1 Stunde früher! Das ist gut. Es ist kühler geworden, aber ich laufe ohne Jacke weiter, damit ich keinesfalls schwitze und eher Flüssigkeit nachfüllen kann.  Andre und ich lassen uns Zeit. Wir wissen, dass wir sichere 3, teilweise knapp 4 Stunden auf den Besenwagen erlaufen. Und wir laufen beide bzgl. Tempo nicht am Limit. Kilometer 148: Malendreni. Ich liebe diesen Check point. Tolle Stimmung, alle nett. Und dieses Jahr: „Dem Tapferen hilft das Glück“=> Wir kommen gerade noch vor dem großen Wolkenbruch unter das Dach und werden nur halb nass. Pause bis das schlimmste vorbei ist: Andre und ich teilen ein Bier und spülen mit 300 ml Gemüsesuppe nach. Mein Körper ist begeistert: Fast ein halber Liter Flüssigkeit, Salz, warm, und eher bitter. Glück kann so einfach sein. Ich leihe mir einen Müllbeutel zum Abschied, stülpe ihn über – meine Regenjacke liegt bei Kilometer 159 und weiter geht´s.
Nun geht es bergauf und zwar steil die Passtrasse.  Und dann:  Ab 159 „Bergziegengang“ bergauf,  der berüchtigte Sangas-Pass, der von den Organisatoren mit grünen Flash-Lampen beschildert ist. Ein Pass den ich mit meinen Kindern bei Tag nicht verwenden würde. Gut das es Nacht ist.  Oben treffen wir 2 Deutsche. Ebenfalls „Patrouillenbildung“. Wir machen uns schnell auf den Berg hinab. Letzteres ist für die nächsten 3 km der wirklich gefährliche Teil dieses Passes. Steil, Geröll und Muskulatur müde! Ort Sangas: Noch 80 km. Auf zum nächsten Hauptpunkt Nestani bei km 172. Wie Gummi ziehen sich diese Kilometer. Am Sangaspass hatte ich die Jacke bergab angezogen. In Nestani mach ich ´ne Weste draus. Nur nicht schwitzen! In Nestani treffen wir auch wieder das Betreuer Team eines Amerikaners, das uns diesmal anspricht, weil wir so schön jetzt schon 80 km zusammen seien. Ich will einen Spaß machen und zitiere Russel Crow in Gladiator: „If we stay together and work together we survive“. Die Amerikaner sind begeistert. Auf geht es nach Tegea. Die Blasen an meinen Vorfüßen sind inzwischen beidseits gleich groß, d.h. es brennt bei jedem Schritt der gesamte Vorfuß, aber seitengleich. Ich sehe dies positiv: Ich komme nicht in Versuchung zu hinken und ein Gelenk kaputt zu machen. Andre meint, diese sei wohl einer „Bastonade“  (Karl May Fans an die Front) ähnlich. In Tegea haben wir 195 km und haben bis hierin 24:30h benötigt. „Coole“ 11:30 h Rest für 50km. Das gibt Sicherheit. Man darf  sich jetzt nur nicht vorstellen, dass es a)  nur die letzten 11 km  wirklich bergab geht – Rest bergauf und stark gewellt – b) dies ab 200 km die Autobahn, dann Schnellstraße ist, und c) das ich keine Lust habe bei der Vorstellung noch 11 h zu laufen. Ich hab eine Müdigkeitskrise: Kaffee und Gummibärchen helfen. Dies habe ich auch nochmal bei Kilometer 216. Gleiches Procedere. Weiter geht es. Andre hat ähnliche Krisen, aber dafür läuft man ja zusammen! Über unsere Oberschenkel sprechen wir beide nicht. Warum auch? Jedes Bergabteilstück, und erst Recht am Ende nach Sparta herab………=> Wie habt Ihr die Treppen runter nach dem Marathon empfunden? Wir haben gerade 5 Marathonläufe  hinter uns! Sparta, wir sehen Dich. Trotzdem, es zieht sich wie Gummi. Am Ortsrand von Sparta Kontrollpunkt 74. Angeblich noch 2,4 km. Ich bin skeptisch. Kinder begleiten uns auf Rädern und sollen uns eigentlich den Weg zeigen. Dumm, dass sie hinter uns fahren. Wir fragen einfach immer wieder im Ort. Und dann: Die letzte Rechtkurve. Ein Polizeimotorrad begleitet uns jetzt. Das weiße Denkmal mit den Namen der Sieger. Die Fahnen geschmückte Straße ist auf den letzten 400 m von Zuschauern, Betreuern, ausgestiegenen Läufern und einigen schon Finishern gesäumt die eine enge Gasse zu der Statue von Leonidas  bilden. Andre und ich laufen gleichmäßig ohne zu beschleunigen weiter, genießen den Jubel und das „Gänsehaut-Feeling“, nehmen uns an die Hand, Stufen hoch und fassen an den Fuß der Leonidasstatue. Ziel erreicht!!!!!!!! Ca.  15:00 Uhr, nach 31:51h. Ich sage die Nachricht Pheidippides auf, die Botschaft. Dieser Mythos ist mir hier wichtig.  Seit 7,5 Jahren laufe ich; seit Januar 2007 träume ich von Leonidas und nun bin ich am Ziel. Ca. 4000 km Training pro Jahr in den letzten 3 Jahren, oft nachts. Das sind ca. 7-8 Stunden pro Woche. Gut, der durchschnittliche Deutsche schaut 23 h Fernsehen pro Woche, ich weiß nicht wie ich auf die restlichen 15 h kommen soll. Trotzdem: Ein Ziel, für das ich Jahre in der Freizeit gearbeitet habe, habe ich erreicht.  Mein Körper:  Die Blasen an den Füßen werden heilen. Die 6kg die ich beim Lauf abgenommen habe werden wieder kommen, die Muskulatur der Oberschenkel wird wieder Kraft bekommen und die Freude über das Erreichte wird bleiben („Wird auch von Frau Merkel noch nicht mit Vergnügungssteuer belegt!“).

Nachwort:  Man wird dann schnell vom Ziel in einem Sanitätszelt aus Sicherheitsgründen durchgecheckt, die Füße gewaschen und desinfiziert und anschließend in das Hotel gefahren.  Mir geht es so gut, dass ich dusche und zurück an das Ziel gehe um bis zum Ende die anderen Läufer zu empfangen.  20:00 Uhr dann closing ceremony: Ein beeindruckendes Fest mit Fackeln, Feuerwerk, Trommler und Sportlergruppe sowie gespielten Priesterinnen.
Montags in Athen dann nochmals Dinner und große Siegerehrung. Es werden alle (!!!!) Finisher mit Namen aufgerufen und geehrt. Von den 328 Läufern haben letztlich 128 das Ziel erreicht; ich selbst bin 27., was mich auch freut, aber wichtiger war der Finish!!